Georg Rudolph im Selbstinterview
Über Vertrauen, Wolle und das Vorausdenken mit einem Spinner
Interviewer: Herr Rudolph, verstehe ich das richtig: Sie sagen von sich selbst, Sie wären ein Spinner? Ob das so vertrauenserweckend für einen Unternehmer ist, der einen Gesprächspartner sucht ...
GR: Auf das Vertrauen habe ich keinen Einfluss. Vertrauen ist eine Gabe. Man muss es schenken. Erfolgreiche Unternehmer wissen, dass sie manchmal jemandem vertrauen müssen. Aber als „Spinner“ lege ich die Hürde für einen Auftrag schon hoch, das stimmt.
Interviewer: Man kann sich Vertrauen auch verdienen.
GR: Das Geschäftsleben basiert auf Versuch und Erfolg. Oder Misserfolg. Wenn ich der Falsche bin, dann merkt der Unternehmer das sehr schnell – oder ich selbst. Weshalb ich auch keine Angst davor habe, hier als „Spinner“ aufzutreten. Ich verwende einfach gerne bildhafte Sprache.
Interviewer: Was spinnen Sie denn so für Ihre Auftraggeber?
GR: Zuerst brauche ich mal Wolle.
Interviewer: Sie meinen Inhalte.
GR: Eher Substanz. Und dann brauche ich Haken.
Interviewer: Jetzt steige ich gleich aus.
GR: Ihre Entscheidung. Sie können mir Vertrauen schenken oder aussteigen.
Interviewer: Also gut. Haken, Wolle – was meinen Sie damit?
GR: Es geht darum, durch Gespräche zu neuen, anderen Möglichkeiten zu kommen. Vielleicht im Umgang mit Marktveränderungen oder bei Strukturveränderungen im Unternehmen. Vielleicht richtet sich das Unternehmen inhaltlich neu aus und man muss überlegen, was das bedeutet oder bedeuten kann – für Kunden, Partner, Mitarbeiter. Als Unternehmer ist man permanent in diesem Prozess. Natürlich spricht man mit Mitarbeitern, Vertrauenspersonen. Viele Entscheidungen werden aber alleine getroffen. Manchmal hat man Zweifel. Dann sucht man nach Substanz, den guten Haken, an dem man Gedanken festmachen kann. Denksicherheiten sozusagen. Ich meine nicht nur Sicherheit durch Wissen, sondern durch Antworten, die man sich als Entscheider nur geben kann, weil jemand Fragen stellt, die sonst keiner stellt. Es geht um Besinnung, Rückbesinnung, eine andere Perspektive oder Introspektive. Die kann man sich in Gesprächen mit mir holen.
Interviewer: Und der Unternehmer findet diese Gesprächspartner nicht in seinem Unternehmen oder im Bekanntenkreis?
GR: Sehr wahrscheinlich schon, aber vielleicht sind die richtigen Personen momentan oder zu dem gewünschten Thema nicht verfügbar. Oder es ist nicht der richtige Zeitpunkt für so ein Gespräch. Vielleicht braucht auch sein Team Unterstützung, wer weiß?
Interviewer: Es geht also generell um Denkimpulse.
GR: Und um Spiegelung von außen. Oft braucht man ja selbst eine Position und Kriterien, nach denen man entscheidet und handelt. Es geht um Sicherheit. Die Gewissheit, dass man richtig liegt – oder in gewissen Punkten eben nicht.
Interviewer: Aber diese Sicherheit finden Entscheider im Unternehmen doch auch ohne Sie.
GR: Wahrscheinlich schon, aber manche dieser Aspekte würde man vielleicht gerne von Außen betrachten. Es gibt auch viele Entscheider, die ganz alleine entscheiden müssen. Immer. Wirklich alleine. Weil sie wissen, dass viele Fragen intern gar nicht besprechbar sind. Ich ermögliche diese Außensicht. Das kann ein Vorteil sein. Ich spinne dann im Gespräch mit den Gedankenfäden, die mir mein Gesprächspartner zukommen lässt.
Interviewer: Sie nehmen als Außenstehender dem Unternehmer die Denkarbeit ab? Das klingt unrealistisch.
GR: Nicht abnehmen, ergänzen. Ich denke mit ihm vorwärts: Thinking forward. Wir sprechen über ein substantielles, strategisches oder kommunikatives unternehmerisches Thema. In Unternehmen sind Denkprozesse oft kompliziert, weil im Alltag Vieles wichtig ist oder wichtig zu sein scheint. Manche Themen sind inhaltlich und sprachlich anspruchsvoll, wie beispielsweise den Unternehmens-Purpose treffend beschreiben. Vor diesem Hintergrund denke ich mit meinem Gesprächspartner zielgerichtet über die Zusammenhänge seines Themas nach. Ich vernetze und verbinde Gedanken anders, als ein Mitarbeiter. Im Grunde arbeite ich konzeptionell: Ich finde heraus, was es bedeutet, wenn etwas gedeutet oder umgedeutet wird. Die Sprache hilft mir dabei. Das ist mein Metier.
Interviewer: Und alles ohne Powerpoint Präsentation, Vorträge, Workshops, Werbeblabla und Wortverdreherei? Worauf lasse ich mich als Unternehmer denn ein?
GR: Nix dergleichen. Zuerst einmal höre ich sehr lange, sehr genau zu. Das, was ich tue, hat oft ganz vordergründig mit Sprache zu tun. Das ist dann Präzisionsarbeit. Zum Beispiel der Begriff „Qualität“. Wenn Qualität für ein Unternehmen wichtig ist, dann kann es eine immense gedankliche und sprachliche Herausforderung sein, diese leere Wordhülse im ganz speziellen Fall mit Sinn zu füllen. Sprache ist das Haken- und Wandmaterial, um Gedanken richtig daran aufzuhängen. Sprache kann alles.
Interviewer: Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
GR: Ja, will ich aber nicht. Ich rede nicht über meine Auftraggeber.
Interviewer: Ich denke, Sprache kann alles?
GR: Sie sind ja hartnäckig.
Interviewer: Kein Wunder, ich bin ja Sie. So pointiert, so präzise, so neugierig, so hartnäckig wie Sie ...
GR: Ok, Ok. Ich versuch’s mal. Viele Unternehmen haben eine eigene Sprache für ihre ganz eigene „Wolle“, mit der sie ihre Gedanken spinnen. Sie sagen dann so etwas, wie: „das Ding muss auf die Straße“ – gemeint ist damit z.B. eine konkrete technische Dienstleistung im Bauwesen. Seit 15 Jahren also bringt ein Unternehmen aus dem Bereich Architektur/Planung das (fast) gleiche „Ding“ auf die Straße. Und seit 12 Jahren sehr erfolgreich – also, das Business funktioniert, und die Sprache funktioniert auch. Aber seit 3 Jahren läuft es schlechter. Und aktuell ist es sehr akut, weil sich irgendetwas geändert hat. An dem „Ding“, dem „Wir“, dem „auf“ oder der „Straße“ oder dem „kriegen“ ist etwas anders als vor 12 Jahren. Die Sprache ist aber gleich geblieben.
Interviewer: Aber das mit dem „Ding auf die Straße“ ist doch nur ein Spruch. Die Entscheider im Unternehmen werden sich doch konkret und fachspezifisch mit dem Problem und dem Wandel in ihrer Branche beschäftigen.
GR: Gewiss. Jeden Tag. Trotzdem klappt es nicht so, wie sie sich das vielleicht wünschen. Und je mehr im Unternehmen darüber konkret gesprochen wird, desto weniger hat ihnen das Lösungswege aufgezeigt. Was bleibt, sind Sprüche.
Interviewer: Und worin bestand Ihre Leistung?
GR: Wir haben im Gespräch festgestellt, dass der Unternehmer für die Akquise einer bestimmten Dienstleistung, die das Zugpferd seines Geschäfts darstellt, kaum noch persönliche Motivation besitzt. Das war der Grund, warum er auch bestimmte Akquiseformen nicht vorangetrieben hat. Im Grunde kam er auf die Lösung selbst: operativ nur noch das Nötigste für den ungeliebten Fachbereich tun und einen kompetenten Vertreter dafür einsetzen sowie einen PR-Berater finden, der neue, motivierende Akquisekonzepte für ihn entwickelt.
Interviewer: Hat der Unternehmer keinen Marketingfachmann, keinen der ihn coacht?
GR: Nein. Das Unternehmen ist viel zu klein. Meistens reicht ein Impuls von außerhalb des Chefzimmers. Aber eben nicht immer. Dann kann ein externer Impuls notwendig sein. Außerdem coache ich nicht. In diesem Fall stand eben ein persönlicher Aspekt dahinter. Ich könnte Ihnen auch ein Beispiel nennen, bei dem es um Standortfragen geht. Und eines zur Unternehmensphilosophie. Sprache kann helfen, die „Dinge“ neu und anders zu verstehen.
Interviewer: Also doch Worte verdrehen?
GR: Nein. Anders sprechen. Wenn man anders über das Bekannte spricht, erscheint es in einem neuen Licht. In einem Unternehmen ist es oft nicht möglich auf verschiedene Art und Weise über den Job, die Sache zu diskutieren. Oder nur sehr schwer.
Interviewer: Warum? Deutsch kann doch jeder?
GR: Die speziellen Methoden, Prozesse, Regelungen und die dazugehörige Sprache in Unternehmen können es einzigartig machen. Und dabei einen Marktvorteil generieren. Wenn der in Gefahr ist, reagieren Unternehmen operativ, nicht kommunikativ. Die Menschen können ihre Sprache – und manchmal auch ihr Denken – nicht immer so schnell an den Wandel anpassen. Und Gesprächskultur steht in einer Krise ganz sicher nicht oben auf der Agenda. Die Bedeutung hinter den Worten wandelt sich bei unternehmerischen Veränderungen mit. Das Neue, Veränderte richtig benennen können ist dann eine echte Aufgabe. Oft fehlt die Zeit dazu. Und meistens merkt der Unternehmer auch nicht, dass es vielleicht nötig ist, einfach mal mit jemandem anders zu sprechen.
Interviewer: Das klingt, als könnte der Unternehmer auch mit seiner Oma sprechen oder einem Deutschlehrer.
GR: Manchmal vielleicht schon, ja. Diese antworten dann aber aus der Oma- oder Deutschlehrer-Perspektive. Das kann manchmal hilfreich sein. Ich antworte aus einer kommunikativen Perspektive mit 20 Jahren Erfahrung als Konzeptioner und Texter für sehr viele große und kleine Unternehmen.
Interviewer: Welche Ergebnisse können Sie einem Auftraggeber zusagen? Mit was geht dieser aus dem Gespräch?
GR: Ich bin kein Dosenöffner, aber ich zeige, wo man einen ansetzen könnte. Oder der Unternehmer kommt selbst darauf. Ich höre erst mal zu. Daraus entwickelt sich ein Gespräch. Und ich erstelle Konzeptpapiere. Aber kurze von 3-5 Seiten. Sehr selten mehr. Darin findet der Auftraggeber weiterführende Ideen, neue Gedanken, methodische Vorschläge, vielleicht wird ein Paradigmenwechsel beschrieben. Alles auf Basis unseres Gesprächs.
Interviewer: Ein bisschen plaudern, ein Konzeptpapier und das Problem ist gelöst? Sie machen die ganze Unternehmensberaterbranche arbeitslos.
GR: Nein. Ich selbst biete nicht zwangsläufig Lösungen an. Ich berate auch niemanden. Das würde ich mir nie anmaßen.
Interviewer: Sie bieten keine Lösungen oder Beratungsleistung?
GR: Unternehmer haben die Chance mit mir ein spezielles unternehmerisches Thema zu besprechen, ohne Arbeitszeit im Unternehmen zu binden. Es muss nicht um Kommunikation und Markenstrategie gehen. Auch, wenn ich darin vielleicht am Besten bin und tatsächlich beraten kann. Ob dann ICH konkrete Lösungen anbieten kann, das stellt sich erst im Gespräch heraus. Oder der Auftraggeber entdeckt in einem meiner Gedankenpapiere etwas, das ihn weiterbringt. Lösungen sind ein Nebenprodukt. Ich helfe Unternehmen dabei selbst zu Lösungen zu kommen.
Interviewer: Sie hören zu, Sie denken, sie reden und sie schreiben Gedanken dazu auf ein Papier. Und das war's?
GR: Das kann schon reichen. Ich bin frei von Statusdenken, Machtdenken, Karrieredenken, Fachidiotie, Betriebsblindheit etc. So gehe ich in das Gespräch. Ich hinterfrage immer tiefer und tiefer. Der Gesprächspartner erklärt mir dabei sein Geschäft, seine Visionen, seinen Plan, Zusammenhänge. Vielleicht steckt er in einem Dilemma. Oder er benötigt etwas Schriftliches, ein Konzept oder den Austausch darüber. Ich komme eben schnell zum Kern, weil ich nicht vom Fach bin.
Interviewer: Ist es nicht ein Handicap, dass Sie kein konkretes Fachwissen mitbringen?
GR: Im Gegenteil. Das ist ein Vorteil. Ich halte mich nicht mit Fachspeziellem auf. Der Unternehmer bucht mich nicht, weil er sich fachlich über Wolle, Schafe, Wiesen, Schurwerkzeuge, Stallgerüche oder Spindeltechnologie unterhalten will. Dazu hat er seine Mitarbeiter. Er kommt beispielsweise mit seiner Wolle nicht voran und will mit jemandem, der unvoreingenommen ist, darüber sprechen oder sucht neue Ansätze, wie er damit umgehen kann, oder merkt, wo die Sackgasse ist. Und Zack sind wir bei Rumpelstilzchen. Das ist ein gutes Beispiel, um zu Beschreiben, wie ein Problem einem Unternehmen zuschaffen machen kann.
Interviewer: Wie kommen Sie auf Rumpelstilzchen?
GR: Rumpelstilzchen weiß zwar, wie man mit einer Spindel aus Stroh Gold macht, aber es geht ihm nicht um die Sache. Er hat andere Ziele. Das ist ein echter Spinner.
Interviewer: Er ist ein Störenfried. Er hat Macht. Und er kostet richtig was.
GR: Ja, sein Preis ist viel zu hoch.
Interviewer: Wie teuer sind Sie denn?
GR: Mein Involvement ist zeitlich begrenzt, also finanziell sehr überschaubar. Und Macht habe ich auch nicht. Ich bin eher der fremde Jägersmann, der herausfindet wie Rumpelstilzchen heißt, um ihn aus dem Spiel zu nehmen.
Interviewer: Sie meinen mit "spinnen" also "denken". Sie hängen dabei Substanz an Haken und scheuen sich nicht Märchen zu erzählen. Planmäßiges Arbeiten sieht anders aus.
GR: Dafür hat mein Auftraggeber ja sein Unternehmen. Ich bin der mit dem Blick von außen, der Gedanken neu vernetzt, Impulse gibt. Und das mit dem Märchen ist nur ein Bild, um zu zeigen, wann Thinking Forward sinnvoll sein kann: alle hocken im Schloss, machen sich das Leben schwer und glauben an den faulen Zauber vom Goldspinnen. Dann wird einer eingeweiht, der nach Antworten suchen soll und als er Wege geht, die sonst keiner geht, findet sich die Lösung. Das ist Thinking Forward. Sonst noch Fragen?
Interviewer: Und was ist mit Dornröschen? Die hat doch auch gesponnen.
GR: Was soll mit der sein? Vielleicht will die gar nicht heiraten sondern lieber lange schlafen. Wobei Dornröschens eigentliches Problem wohl eher das verklemmte Elternhaus ist. Sie sehen, neben dem Einsatz von ganz normalem Menschenverstand recherchiere ich auch. In diesem Fall zum Thema Märchen und Psychologie.
Interviewer: Herr Rudolph, vielen Dank für das Selbstgespräch.